»Reisen« meint hier weder Urlaub noch Ferien noch beruflich veranlasste Reisen, sondern vielmehr solche Reisen, die als Teil der Lebensgestaltung unternommen werden, natürlich freiwillig und in der Regel auch individuell geformt.
Ohne die emotional geprägte Phase vor dem Aufbruch sind solche Reisen kaum denkbar, die Motive zur Reise sind wesentlich durch die innere Disposition geprägt, der kognitive Anteil tritt dahinter zurück. Mit jeder weiteren Reise entfernen sich Reisende jedoch aus ihrer sozailen Rolle und provozieren erfahrungsgemäß die Rückfrage: Warum machst Du das?
In deutlichem Widerspruch zur zugrundeliegenden Emotionalität wird in der Regel wenig überzeugend versucht, dies rational zu erklären. Relativ wenigen gelingt es, aus ihrer Leidenschaft einen Beruf zu machen: Bildervorträge, Buchautoren, Ausrüster oder Ausbauer. Vereinzelt lohnt sich das, doch alle zahlen dafür mit dem Verlust authentischen Erlebens und zu Recht bezeichnet Tony Wheeler
, Gründer von Lonely-Planet, Reiseführer-Autoren als Prostituierte.
Tatsächlich jedoch bieten Reisen bestimmte Erlebnisse in einer Dichte, die sich unter andere Lebensumständen nur schwer wiederholen lassen. Neben der notwendigen Disposition zum Reisen offenbart sich im Unterwegs-sein eine zweite Voraussetzung, die Reisende mitbringen müssen: Offen zu sein für die Welt, damit das Innere des Selbst erschüttert werden und dieses besondere Erleben auslösen kann. An diese Erlebnisse gebunden sind die dazugehörigen Erfahrungen, die unsere * Weltanschauung bestimmen, den *Lebensreisestil bestimmen und künftiges Verhalten beeinflussen.
Nun sind solche Erlebnisse kaum zu beschreiben und deuten sich nur an in ebenso unbeschreibbaren Begriffen wie Fernweh oder Wanderlust. Diese Begriffe sind in den anglophilen Sprachgebrauch übernommen worden, weil sie einen Gefühlszustand bezeichnen, für den es im Englischen keinen Begriff gibt, wohl aber das Bedürfnis nach einem solchen Begriff.
Unübersetzbar sind solche Begriffe , weil sie eben nicht kognitiv definierbar sind, sondern im Emotionalen wurzeln. Sie verbinden sich mit einem spezifischen Gefühlszustand. Eine »relative« Universalität des zugrundeliegenden Gefühlszustandes wird offenbar, wenn dieses Wort in andere Sprachräume übernommen wird - es erfüllt dort ein Bedürfnis. Auf der anderen Seite scheinen bestimmte Kulturen und Sprachen eher geeignet zu sein als andere, einen treffenden Begriff zu erzeugen. Der Flaneur ist französisch geprägt, der Globetrotter englisch, die Karawane persisch. Der Flaneur ist eben kein Spaziergänger, der Globetrotter kein Wanderer, die Karawane kein Geleitzug.
Wenn aber jede Kultur und jede Sprache etwas beizutragen hat, das anderweits noch nie gesagt wurde, dann sollte ein vielsprachiges Glossar dieser Begriffe neue Einsichten in das Wesen des Reisens bieten. Dieser Versuch wird hier nun erstmals unternommen.
Rund 60 unübersetzbare Begriffe kamen in diese Auswahl, weil sie relevant erscheinen für Reisende. Geordnet sind sie nach groben Kategorien, nämlich:
Jedoch kann derselbe Begriff verschieden kategorisiert werden, je nachdem er (a) den emotionalen Zustand bezeichnet und/oder (b) die Fähigkeit, diesen Zustand zuzulassen und/oder (c ) den Lebensreisestil, der zu solchen Zuständen führt.
Begriff | Sprachwurzel | Kategorie |
---|---|---|
Bergtatt | Norwegisch | Emotion |
Cynefin | Walisisch | Emotion |
Dépaysement | Französisch | Emotion |
Eleutheromania | Griechisch | Emotion |
Ephemera | Griechisch | Emotion |
Fernweh | Deutsch | Emotion |
Hiraeth | Walisisch | Emotion |
Koyaanisqatsi | Hopi | Emotion |
Mono no aware 物の哀れ | Japanisch | Emotion |
Muditā | Sanskrit | Emotion |
Peregrinate | Englisch | Emotion |
Resfeber | Schwedisch | Emotion |
Saudade | Portugiesisch | Emotion |
Smultronställe | Schwedisch | Emotion |
Uitwaaien | Niederländisch | Emotion |
Utepils | Norwegisch | Emotion |
Wanderlust | Deutsch | Emotion |
Yugen | Japanisch | Emotion |
Begriff | Sprachwurzel | Kategorie |
---|---|---|
Ästhet | Altgriechisch | Fähigkeit |
Chai-pani | Hindi-Urdu | Fähigkeit |
Datsuzoku | Japanisch | Fähigkeit |
Fjellvant | Norwegisch | Fähigkeit |
Friluftsliv | Norwegisch | Fähigkeit |
Hanyauku | Kwangali | Fähigkeit |
Kokusaijin | Japanisch | Fähigkeit |
Lehitkalev | Hebräisch | Fähigkeit |
Querencia | Spanisch | Fähigkeit |
Wabi-sabi | Japanisch | Fähigkeit |
Wanktok | Tok Pisin | Fähigkeit |
Zanshin 残心 | Japanisch | Fähigkeit |
Begriff | Sprachwurzel | Kategorie |
---|---|---|
Akihi | Hawaiianisch | Geschick |
Ame Otoko | Japanisch | Geschick |
Quatervois | Französisch | Geschick |
Serendipity | Englisch | Geschick |
Trouvaille | Französisch | Geschick |
Trúnó | Isländisch | Geschick |
Begriff | Sprachwurzel | Kategorie |
---|---|---|
Coddiwomple | Englisch | Lebensreisestil |
Derivé | Französisch | Lebensreisestil |
Dustsceawung | Englisch | Lebensreisestil |
Firgun | Hebräisch | Lebensreisestil |
Flaneur | Französisch | Lebensreisestil |
Gadabout | Englisch | Lebensreisestil |
Lagom | Schwedisch | Lebensreisestil |
Matvandur | Isländisch | Lebensreisestil |
Metanoia | Griechisch | Lebensreisestil |
Nefelibata | Portugiesisch | Lebensreisestil |
Novaturient | Lateinisch | Lebensreisestil |
Seigneur-terraces | Französisch | Lebensreisestil |
Sisu | Finnisch | Lebensreisestil |
Vacilando | Spanisch | Lebensreisestil |
Waldeinsamkeit | Deutsch | Lebensreisestil |
Begriff | Sprachwurzel | Kategorie |
---|---|---|
Boketto ボケっと | Japanisch | Zeit |
Døgn | Norwegisch | Zeit |
Iktsuarpok | Inuit | Zeit |
Madrugada | Spanisch/Portugiesisch | Zeit |
Mamihlapinatapai | Yagan | Zeit |
Missmyörsriesa | Schwedisch | Zeit |
Tidsoptimist | Schwedisch | Zeit |
Taarof | Persisch |