Herman Melville Moby-Dick 1. Auflage. Aus dem Englischen von Matthias Jendis München: Hanser 2001. 1043 Seiten mit Anmerkungen von Daniel Göske
Herman Melville Moby-Dick; oder: Der Wal 1. Auflage. Deutsch von Friedhelm Rathjen Herausgegeben und mit einem Anhang versehen von Norbert Wehr Mit 269 Federzeichnungen von Rockwell Kent. 992 Seiten Einmalige, limitierte und numerierte Ausgabe. Fadenheftung. Silberschnitt, geprägtes Leinen mit geprägtem Schuber.
1851 zuerst erschienen, war Melvilles Werk bei seinem Tod nahezu völlig vergessen. Literaturkenner beschreiben das Werk immer wieder mit gewaltigen Worten: ein moderner Mythos, ein besessener Walfänger, ein geisterhafter Wal, grenzenloser Haß, ein archaischer Kampf, eine barocke Summe menschlicher Erfahrung von Jahrtausenden … Überlebt haben meist arg auf abenteuerliche Handlungen verkürzte Versionen für Kinder und Jugendliche. Dabei ist dieses Monumentalwerk mit rund 1000 Seiten vielschichtig aufgebaut – und das Südsee-Abenteuer bildet nur eine Schicht.
Daneben zeugt das Werk jedoch auch von tiefer Kenntnis über die Natur des Wals – jedenfalls sofern dieses Wissen für die Jagd bedeutsam war – und dessen mythologischer Bedeutung. Moralphilosophisch gesehen offenbart sich darin aber das Wesen des Menschen als einer Kreatur, die letztlich ihren animalischen Leidenschaften unterworfen ist, deren kultureller Anschein im Kampf schnell abgelegt ist. Vordergründig kämpfen Gut gegen Böse; seine Wirkung entfaltet der Roman jedoch, weil unklar bleibt, was denn nun Gut oder Böse ist. Der Leser muß selbst entscheiden, wird hineingezogen und muß seine eigenen Werte bilden: Kapitän Ahab
oder Moby-Dick – man kann sie beide bewundern oder beide fürchten.
Nun kommt durch die Editionsgeschichte seit 1991 noch eine vierte Erzählebene hinzu. Damals brachte das Schreibheft eine Melville-Themenausgabe, die den Hanser-Verlag bewog, ein Übersetzungsprojekt zu starten. Beauftragt wurde F. Rathjen
, der bereits James Joyce
, Gertrude Stein
, R.L. Stevenson
, Mark Twain
ins Deutsche übertrug, mit Norbert Wehr
als Herausgeber. Beider Anliegen war es, die sprachliche Erscheinung des Urtextes möglichst originalgetreu abzubilden mit seinen „wechselnden Tonlagen, der exzessiven Rhetorik und ungewöhnlichen Interpunktion“ (Herausgeber Norbert Wehr).
Damit unzufrieden, beauftragte der Verlag letztendlich einen zweiten Übersetzer, Matthias Jendis
, die erste Version zu überarbeiten, und stellte ihm einen Berater, Daniel Göske
, zur Seite. Primärziel dieser Übersetzung war eine lesergerechte Übersetzung.
Beide Übersetzungen erscheinen nun nahezu zeitgleich, 150 Jahre nach der Erstausgabe. Welche Ausgabe ist nun „die gute“, welche „die böse“? Es ist eben wie im Roman, der Leser muß selbst entscheiden:
Melville schreibt im Original:
»But the Pequod was only making a [[wiki:passage|passage]] now; not regularly cruising; nearly all whaling preparatives needing supervision the mates were fully competent to, so that there was little or nothing, out of himself, to employ or excite Ahab, now; and thus chase away, for that one interval, the clouds that layer upon layer were piled upon his brow, as ever all clouds choose the loftiest peaks to pile themselves on.«
Rathjen übersetzt:
»Aber die Pequod befand sich jetzt erst auf [[wiki:passage|Passage]]; kreuzte nicht regulär; beinah aller Walfangvorbereitungen, die der Oberaufsicht bedurften, waren die Maate voll und ganz befähigt, so daß es da nun wenig oder gar nichts gab, um Ahab weg von sich selbst zu beschäftigen oder aufzuregen; und solchermaßen wenigstens für dieses Zwischenspiel die Wolken fortzujagen, die sich Schicht auf Schicht auf seiner Stirne türmten, wie immerdar alle Wolken die erhabensten Gipfel wählen, um sich daran aufzutürmen.«
Jendis übersetzt:
»Aber die Pequod befand sich jetzt bloß auf der Überfahrt; sie kreuzte nicht in den Fanggründen, und fast alle Vorbereitungen für den Walfang, die der Aufsicht bedurften, konnten bestens von den Steuerleuten erledigt werden, so daß es außer ihm selbst zur Zeit kaum etwas gab, das Ahab Arbeit oder Ablenkung hätte verschaffen und wenigstens vorübergehend das Gewölk hätte vertreiben können, das Schicht um Schicht auf seiner Stirne lag, so wie die Wolken stets die erhabensten Gipfel wählen, um sich an ihnen zu ballen.«
Der Sprachexperte Dieter E. Zimmer
(DIE ZEIT) analysiert: »Beide Übersetzungen geben den Sinn des Satzes vollständig und im Großen und Ganzen richtig wieder. Aber kein Zweifel, Rathjen ist genauer; er bildet sogar seine Syntax und Interpunktion nach. Jendis dagegen ist „explikativ“ (etwa wenn er in den Fanggründen hinzufügt), er wählt das elegante Synonym (lag, ballte statt zweimal türmen). Andererseits ist Rathjens größere Genauigkeit hier und da nur Schein: Die wörtlichste Übersetzung von to pile wäre häufen, nicht türmen, supervision wäre mit Aufsicht (statt Oberaufsicht) richtiger und dazu wörtlicher übersetzt, ein Zwischenspiel ist etwas anderes als eine Zwischenzeit (interval), und kreuzte regulär scheint zwar wortgenau, aber regulär ist ein Fauxami von regularly und trifft dessen Bedeutung nicht wirklich. Der unübersehbare Hauptunterschied zwischen beiden Fassungen besteht jedoch darin, dass die von Jendis in der Tat gut lesbar ist, die von Rathjen nur mit etlicher Mühe.«
Die Rathjen-Übersetzung erscheint nun bei 2001 in edler Edition: ein silbrig geprägter blauer Leinenband gleitet aus einem massiven Schuber, der Text steht auf einem angenehm gelblichen Papier und wird mit 269 Federzeichnungen illustriert. Ergänzt wird sie durch einen fast 200-seitigen Anhang, der u.a. einen einführenden Essay des französischen Literaturwissenschaftlers Jean Pierre Lefebvre
enthält. Dazu gibt es eine Reihe von Texten aus dem Quellgebiet des Romans, die größtenteils hier zum ersten Mal auf Deutsch vorliegen: darunter Owen Chases
Bericht vom Schiffbruch des Walfängers Essex, Melvilles Anmerkungen zu Chases Bericht, Melvilles Skizzen einer Walreise, Melvilles berühmter Essay über Hawthorne
und seine Moose und zuletzt auch Friedhelm Rathjens
Wie ich Herman Melvilles Moby-Dick neu übersetzt habe.
Die freiere Übersetzung von Matthias Jendis
erschien bereits 2001 und erhielt den renommierten Rowohlt-Preis. Auch der sorgfältige wissenschaftliche Apparat dieser Ausgabe setzt Maßstäbe. Übrigens bilden die beiden genannte die siebte und achte Übersetzung ins deutsche, davon sind vier immer noch auf dem Markt.
»Die Reisen, die Herman Melville unternahm, sei es als Schiffsjunge, als einfacher Matrose oder als Schriftsteller, waren, neben den Lektüren, die wichtigsten Inspirations-Quellen für sein literarisches Werk. Ohne die Erfahrung, die Schauplätze, an denen seine Figuren auftreten, selbst erkundet zu haben, ist keines seiner Bücher denkbar.« (Norbert Wehr, Das Reisen zieht die Tinte aus des Mannes Feder) Melvilles Reiseaufzeichnungen von 1849, 1856/57 und 1860 wurden übersetzt und beispielhaft kommentiert von Alexander Pechmann
. Wer über Moby Dick hinaus etwas von Melville lesen möchte, suche nach den Titeln: Redburn, Typee, Omoo, Mardi, White-Jacket, Pierre, die Encantadas, Israel Potter, Bartleby, Benito Cereno und The Confidence-Man. Clarel. A Poem and Pilgrimage in the Holy Land. Melville wurde von seinen Zeitgenossen völlig vergessen. Als er am 28. September 1891 starb, meldete die New York Times den Tod eines gewissen „Henry“ Melville, der einst der berühmte Autor eines Romans namens Typee gewesen war.
Georgoudaki, Ekaterini
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