====== Reisegötter ====== Mit einem japanischen Gott Da hockt der dicke Gott und grinst, der schwere Bauch in düstern Falten ... und über des Geschickes Walten sitzt jener ruhig da und blinzt ... O Wandrer, lüfte deinen Hut! Denn dieser strebt zum Idealen. Was weiß er von des Denkens Qualen? Er existiert und damit gut! Kurt Tucholsky [Pseud. Theobald Tiger]: Fromme Gesänge. 1919 siehe auch [[wiki:liste_reisegottheiten|Liste der Reisegottheiten]] sowie [[wiki:genius_cucullatus|Genius cucullatus]], ein Schutzgeist. ==== Gefahren ==== Reisende setzen sich dem Unbekannten aus. Seine [[wiki:uebergang|Übergänge]] beginnen mit dem Überschreiten der Schwelle, setzt sich fort beim Verlassen der Siedlung durch das Tor und durch den Zaun, der die Felder einhegt. [[wiki:reisende|Reisende]] folgen dem [[wiki:pfad|Pfad]], einem [[wiki:wegfindung|Weg]], einer [[wiki:pisten|Piste]] durch die [[wiki:wildnis|Wildnis]], insbesondere beim Durchschreiten von Gewässern oder Überschreiten von [[wiki:alpenpaesse|Pässen]], dem [[wiki:klima|Wetter]] ausgesetzt und den wilden [[wiki:tiere|Tieren]]. Das Unbekannte weckt [[wiki:angst|Angst]] vor [[wiki:gefahr|Gefahren]] und ein Bedürfnis nach Schutz und [[wiki:orientierung|Orientierung]]. Bevor es Impfungen, [[wiki:reisefuehrer|Reiseführer]] und [[wiki:ausruesterkataloge|Ausrüsterläden]] gab, waren dafür Reisegötter zuständig. Reisegötter und Schutzgeister (später auch [[wiki:christophorus|Christophorus]]) versehen daher ihre Aufgaben insbesondere an Kreuzungen, Pässen, Furten, Quellen, Oasen usw., oft erinnert ein [[wiki:steinmann|Steinmann]] daran sie anzurufen, im tibetischen Himalaya sind es Gebetsfahnen, in [[wiki:europa|Europa]] auch Feldkreuze oder das Dreikönigszeichen am Türrahmen. ==== Reisegötter ==== Reisegötter geben Sicherheit, denn ... ^ Fähigkeiten ^ Bedürfnis ^ Attribut ^ Text und Bildquellen ^ | ... sie kennen die Richtung und\\ den richtigen [[wiki:weg|Weg]]| [[wiki:orientierung|Orientierung]]| [[wiki:steinmann|Stein]](zeichen)| | ... sie bringen Licht in die Dunkelheit| Orientierung| Mond, Fackel| [[https://www.rdklabor.de/wiki/Fackel_als_Attribut|RDK Labor]] | | ... sie zähmen die [[wiki:wildnis|Wildnis]] |Stärke, [[wiki:kraft|Kraft]]| Hund, Schlange| Lurker 1983 | | ... sie brechen leicht auf| [[wiki:mut|Mut]], Zuversicht| [[wiki:stab|Stab]], Hut| | ... sie sind schnell| Ziel| Schuhe, Flügel| [[https://www.rdklabor.de/wiki/Engel|Engel]] | Die Attribute der Reisegötter sind von praktischen Erfordernissen des [[wiki:reisen|Reisens]] diktiert, denn »... Unternimmt in den Mythen eine Gottheit eine Reise, so zieht sie sich die Schuhe an - //die »eiligen Winde«// - und nimmt ihren [[wiki:stab|Stab]] in die Hand« ((''Volkert Haas''\\ //Handbuch der Orientalistik//\\ The Near and Middle East. Der Nahe und Mittlere Osten ...\\ Brill, Leiden 1994, S. 512)). Die Prioritäten der [[wiki:ausruestung|Ausrüstung]] und das Prinzip der [[wiki:einfachheit|Einfachheit]] bestimmen das [[wiki:reisegepaeck|Reisegepäck]]. * ''Lurker, Manfred''\\ //Der Hund als Symboltier für den Übergang vom Diesseits in das Jenseits.//\\ Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte, 35.2 (1983) 132–144. [[https://www.jstor.org/stable/23893778|Online]] * ''Scholz, Herbert''\\ //Der Hund in der griechisch-römischen Magie und Religion.//\\ Dissertation. 62 S. Berlin 1937: Triltsch & Huther. * ''Göhde, Hildegard''\\ //Vom Hirtenhund zum Göttersymbol.\\ Die Bedeutung des Hundes im Alten Mesopotamien vom Beginn bis zum Untergang.//\\ Dissertation Münster 1998. Bd. 1: Textteil. Bd. 2: Katalogteil IV, 430 S. * ''Küster, Erich''\\ //Die Schlange in der griechischen Kunst.//\\ Dissertation 55 S. Naumburg a. d. S. 1913: Lippert. * ''Maringer, Johannes''\\ //Die Schlange in Kunst und Kult der vorgeschichtlichen Menschen.//\\ Anthropos, 72.5/6 (1977) 881–920. [[https://www.jstor.org/stable/40459186|Online]] * ''Kobler Friedrich''\\ //Fackel als Attribut.//\\ in: aus: Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte, S. 993-1023. Stuttgart 2013: Alfred Druckenmüller. »Reisegötter« (engl. //travel deities//) sind Schutzgottheiten, die angerufen werden, wenn reisetypische Schwellen und [[wiki:grenze|Grenzen]] überschritten und sicherheitsstiftende Ordnung verlassen werden. Man kennt sie in den Altertumswissenschaften als Türgottheiten und als Wegegottheiten. Gemeinsam ist ihnen, dass sie an Übergängen wirken, dort, wo richtungsweisende Entscheidungen zu treffen sind. Aus dieser Sicht werden sie auch //liminal deities// genannt und psychologisch-anthropologisch interpretiert, weil die Übergänge nicht nur äußerlich sondern auch innerlich erfolgen. Die wesentlichen Aufgaben zielen auf äußere [[wiki:sicherheit|Sicherheit]] und innere Zuversicht. Voraussetzung dafür sind Glauben und Vertrauen. Gegenstand der Aufgabe ist die [[wiki:wegfindung|Wegfindung]] vom Aufbruch zum Ziel im unbekannten [[wiki:zwischenraum|Zwischenraum]]. Die [[wiki:problemloeseverhalten|Probleme]] des [[wiki:reisende|Reisenden]] liegen in dem Umständen dieses Weges, also in * der [[wiki:orientierung|Orientierung]] wegen der fehlenden Kenntnis des [[wiki:wegfindung|Weges]]; * unbekannten [[wiki:gefahr|Gefahren]] aus der [[wiki:wildnis|Wildnis]]; * fehlendem Vertrauen beim Begegnen des [[wiki:fremdes|Fremden]]. Eine Schutzgottheit bietet [[wiki:sicherheit|Sicherheit]] auf der [[wiki:grenze|Grenze]] zum Unbekannten, zur [[wiki:wildnis|Wildnis]], zum [[wiki:fremdes|Fremden]], weil sie damit umzugehen weiß. Das setzt eine Vertrautheit zu diesen Bedrohungen voraus, also wird die Schutzgottheit Teil des Unbekannten, Wilden und Fremden. Das Verhältnis zur Schutzgottheit wird dadurch ambivalent, denn in ihrer Eigenschaft als [[wiki:trickster|Trickster]] kann man ihr nicht vertrauen. Ihr zu opfern gleicht einer Schutzgeldzahlung. In der Symbolik spiegelt sich das durch Doppelköpfigkeit (Janus) oder Mehrleibigkeit (Hekate Trivia). ==== Grenzgänger ==== [[wiki:Grenzgänger |Grenzgänger]], die solche Übergänge selbstverständlich passieren oder sogar immer wieder suchen, gelten als faszinierend, jedoch suspekt, ihre Archetypen sind der [[wiki:der_wilde_mann|Wilde Mann]], der an das Animalische im Menschen erinnert und der [[wiki:outlaw|Outlaw]], der daran erinnert, dass der [[wiki:einzelne|Einzelne]] nicht ohne Gemeinschaft bestehen kann. Auch die [[wiki:abenteuer|Abenteurer]] der Moderne gehören dazu, Ritter ebenso wie [[wiki:held|Helden]], aber auch Hexen, Schamanen, Eremiten, die [[wiki:liste_kundige|Kundigen]] des [[wiki:liste_fahrendes_volk|Fahrenden Volkes]] und [[wiki:liste_reisende_im_sprachvergleich|Reisende]], die im [[wiki:unterwegs-sein|Unterwegs-sein]] gefangen sind. ==== Nomadische Wurzeln ==== Das Bild des »guten Hirten« hat als Metapher bis heute überdauert: bärtig, groß und stark, voller Lebenskraft, gegen Mensch und [[wiki:tiere|Tier]] gerüstet schützt er seine Herde. Seine [[wiki:liste_attribute_des_reisens|Attribute]] decken sich denen der Reisegötter und mit denen der Fürsten - weltlicher ebenso wie geistlicher. Es scheint, als bezögen diese Reisegötter ihre Kräfte aus der nomadischen Kultur von Abel im Gegensatz zum hausbauenden Schmied Kain: * Der Hund wurde zuerst zum Begleiter des [[wiki:nomaden|Nomaden]] und ist ein Symbol für Schutz. * [[wiki:nutztiere|Ziegen]] stehen für Fruchtbarkeit, der Ziegenbock für Männlichkeit; sie wurden von nomadisierenden Hirten domestiziert. * Das [[wiki:raeder|Rad]] und der [[wiki:wagenbau|Wagen]] stammen aus der nomadischen Kultur, sie symbolisieren Beweglichkeit und Leben. * Der [[wiki:stab|Stab]] ist für Nomaden bis heute wichtigstes [[wiki:werkzeug|Werkzeug]] und Waffe. * Das Überschreiten von [[wiki:grenze|Grenzen]] führt bis heute weltweit zu Konflikten zwischen Nomaden und Seßhaften. ==== Schutzgottheiten ==== Manche Schutzgottheiten haben christlich geformt bis heute überdauert, so etwa [[wiki:christophorus|Christophorus]] als Schutzpatron der Reisenden. Ihm vergleichbar finden sich als Beschützer der Reisenden: ==== In Afrika ==== * Den vorigen vergleichbar bringt in der ägyptischen Mythologie **Anubis** die Seelen der Verstorbenen zum [[wiki:faehrmann|Fährmann]] **Thot**, der sie über den Totenfluss Eridanos geleitet. Anubis wird vorwiegend mit einem Hunde- oder Schakalkopf dargestellt sowie mit einem spiralfömigen, gegabelten //Was-Zepter//, welches gedeutet wird als Phallus-Symbol und als [[wiki:stab|Stab]], mit dem Schlangen gefangen wurden. **Thot** ist die ägyptische Entsprechung des Hermes (( ''Cicero'' \\ //In De natura deorum// 3, 56)) und verschmilzt synkretistisch mit ihm zu //Hermes Trismegistos//, dem `dreimal größten Hermes´. ==== In Asien ==== * Der armenische Gott **Tir** ((Ter, Tyr, Tiur, Tiwr; identisch mit dem pers./altiran. Tištrya, Teštar)) ist ein Begleiter und Psychopompos wie //Hermes// und wird im Persischen dem Planeten //Merkur// zugeordnet ((''Jürgen Tubach''\\ //Herakles vom Berge Sanbulos//\\ Ancient Society Vol. 26 (1995), pp. 241-271\\ insbes. Fußnote 57 und ab S. 263 ausführlich mit zahlreichen Quellenbelegen\\ ''Carsten Colpe''\\ //Götter und Mythen der kaukasischen und iranischen Völker//\\ Wörterbuchs der Mythologie Band 4\\ Klett-Cotta, 1986, S. 140 Eintrag `Tir´; Dort auch der Hinweis auf zahlreiche Personennamen Tir-* sowie Ortsnamen: Tiraric bei Bagrevand, jetzt Kösa dagh; Tirakatar, s. ''H. Hübschmann''\\ //Die altarmenischen Ortsnamen//\\ Mit Beiträgen zur historischen Topographie Armeniens und einer Karte\\ 1904; Reprint 2019 de Gruyter )). Sein Name weist ihn als [[wiki:faehrmann|Fährmann]] aus ((indogermanisch [[https://indogermanisch.org/pokorny-etymologisches-woerterbuch/index.htm|ter-4]], also `hinübergelangen, hindurchdringen; überqueren, überwinden, überholen, hinüberbringen, retten')) ebenso wie Toth. Das //Tirband// ist in Armenien eine volkstümliche Methode zum Wahrsagen. Neuarmenisches //ter// `Herr´ findet sich erhalten im //Tyrannen//, griechisch tyrannos, armenisch tirel `//herrschen´//. Der Name //Tyrrhenós//, altgriechisch Τυρρηνός, der mythische Stammvater der Etrusker, könnte darauf zurückzuführen sein; das //Thyrrenische// Meer zwischen Italien, Sardinien und Sizilien ist nach ihm benannt. * **Pushan** ((''Laurie L. Patton''\\ //Bringing the Gods to Mind\\ Mantra and Ritual in Early Indian Sacrifice//\\ Berkeley University of California Press 2005)) ist ein vedischer Gott aus der Rigveda, der Wächter der Wege und Beschützer der Reisenden, er begleitet auch die Toten in die Unterwelt. Er schützt die Haustiere und führt Vieh gesund in den Stall zurück. Dargestellt wird er als bärtiger Mann mit Speer und einem von Ziegen gezogenen Wagen. Die Kundalinischlange umwindet den Lingam. Pushan verkörperte Aspekte, die später Shiva zukamen. Er war als vedischer Gott jedoch weit älter und wird dem viehzüchtenden vedischen Stamm der Bharadvajas zugeordnet, hier insbesondere den Ziegen zugehörig. //»All this almost indicates the Indo-European infra-structure for the common ancestor of Pusan and Hermes.«// ((''Sukumari Bhattarcharji''\\ //The Indian Theogony//\\ A comparative study of Indian mythology. From the Vedas to the Puranas\\ Delhi 1988, s. z.B. S. 187, Fussnote 1)) * Auch der indische Gott **Agni** ähnelt dem Hermes in manchen Punkten ((''P.-L. van Berg''\\ //Hermes and Agni: a fire-god in Greece?//\\ University of California Los Angeles; 189-204; 2001 ISBN: 0941694798\\ Zu Agni siehe: ''Ferdinand Justi''\\ //Ueber das eddische Lied von Fiölsvidr//. Eine Vorlesung.\\ Orient und Occident insbesondere in ihren gegenseitigen Beziehungen: Forschungen und Mittheilungen (Dieterich), 2 (1864) 50.\\ ''Paul Wurm''\\ //Geschichte der indischen Religion: im Umriss dargestellt//\\ VIII, 303 S. Basel 1874: Bahnmaier. insbes. S. 40−43)) * **Kṣitigarbha** (Sanskrit), ein Bodhisattva, ist in Indien seit dem 4. Jahrhundert v. Chr. nachweisbar und wurde in ganz Asien populär als Dìzàng (chin.) ((''Nan Ouyang''\\ //Localizing a Bodhisattva in Late Imperial China: Kṣitigarbha, Mt. Jiuhua, and Their Connections in Precious Scrolls//\\ Journal of Chinese Religions Vol. 47, Nr. 2, November 2019, S. 195-219, Johns Hopkins University Press)) , Jizō (jap.), Địa tạng (vietn.), ji jang (kor.) ((''Heinz Bechert''\\ //Der Buddhismus I: Der indische Buddhismus und seine Verzweigungen//\\ Kohlhammer Verlag 1999, Kap. 1.3 Kṣitigarbha [Jizō])). Kṣitigarbha trägt einen Mönchsstab (khakkhara) und gilt als Beschützer von Kindern und Reisenden sowie als Begleiter in die Unterwelt. * Als **Jizō** ist Kṣitigarbha in Japan einer der //Dōsojin// (Gottheiten der Wege, Straßen und Grenzen) und geleitet verstorbene Kinder über den Totenfluss //Sanzu// in die Unterwelt. Er wird durch Steine (oft in Phallusform) am Wegesrand repäsentiert, insbesondere an Dorfgrenzen, Gebirgspässen, Kreuzwegen und Brücken ((''Martin Kraatz''\\ //Jizō Bosatsu: Ein buddhistischer »Heiliger« in Japan//\\ Photographien und Gegenstände. Begleitheft zur [[wiki:liste_ausstellungen|Ausstellung]] in der Universitätsbibliothek Marburg, 6. September - 23. Oktober 1994\\ Marburg: Religionskundliche Sammlung der Philipps-Universität Marburg 3)). * **Funato no Kami** ist in der japanischen Shintō-Religion der (phallische) Gott der Wege, erkennbar am [[wiki:stab|Stab]] ((''Karl Florenz''\\ //Die historischen Quellen der Shintō-Religion//\\ Aus dem Altjapanischen und Chinesischem übersetzt und erklärt.\\ 1919, S. 139)). ==== In Europa==== * **Hekate** galt bereits in vorgriechischer Zeit als Göttin der Wegkreuzungen, Schwellen und Übergänge. Sie bewachte die Tore zwischen den Welten, hatte Zugang zur Unterwelt. Ihr wesentliches Attribute war die Fackel, sie wird mit Hunden zusammen gezeigt und mit Hermes verbunden, beide werden an Vollmond verehrt. Ihre Beinamen sind unter anderem: Enodia (die am Wege), Kleidukos (die Schlüsseltragende), Phosphoros (Lichtbringerin), Propolos (Führende), Propylaia (Torhüterin), Trioditis oder Trivia (Dreiwege). Sie ist eine dreigesichtige sechshändige chtonische Erdgöttin altorientalischer Herkunft. ((''S. I. Johnston''\\ //Crossroads//\\ Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik 88 (1991) 217–224\\ Zur orientalischen Provenienz siehe: ''David R. West''\\ //The Goddess Hekate and Related Chthonian Daemons, with Antecedents in Semitic Demonology.// Kevelaer 1995.\\ ''Johnston, S. I.''\\ //Hekate Soteira. A study of Hecate´s role in the chaldean oracles and related literature//. Atlanta, Ga. 1990: Scholars Press)). Oft wird sie mit der griechischen //Demeter// und der ägyptischen //Isis// gleichgesetzt wegen der gemeinsamen Attribute Mondsichel, Ähren, Fackel. * Der griechische Gott **Hermes** ((von gr. hermios lophos, eirō, hermeneuō)) schützte die Reisenden, als Hermes //Kriophoros// trägt er ein Lamm (das spätere Sinnbild für Christus) auf den Schultern; die [[wiki:steinmann|Steinsäulen]] am Straßenrand hießen //Hermai// ((''Ifigenija Radulović, Snežana Vukadinović, Aleksandra Smirnov Brkić''\\ //“ΟΥΔΕΝ ΠΡΟΣ ΤΗΝ ΚΛΟΠΗΝ” Hermes the Transformer//\\ Agora. Estudos Clássicos em Debate 17 (2015) 45‐62, ISSN: 0874‐5498 )). Der //Hermesstab// (lat. Caduceus) wird von zwei einander anblickenden Schlangen umwunden; auf dem Kopf trägt Hermes den geflügelten Reisehut ((''Rolf Hurschmann''\\ //Petasos//\\ In: Der Neue Pauly (DNP). Enzyklopädie der Antike\\ Band 9, Metzler, Stuttgart 2000, ISBN 3-476-01479-7, Sp. 660)). Der Hermeskult ist der älteste der griechischen Mythologie und könnte pelasgische oder orientalische Wurzeln haben (('' A.L. Frothingham''\\ //The Babylonian Origin of Hermes the Snake-God, and of the Caduceus//\\ AJA 20.2 (1916) 175‐211)). Als Tierträger und »Hundebezwinger« wirkt er als Hirtengott. //Hermes// begleitet die Seelen der verstorbenen in die Unterwelt und übergibt sie dem [[wiki:faehrmann|Fährmann]] //Charon//, der sie über den Totenfluss Styx bringt ((''Kahn, L.''\\ //Hermes à la frontière et l´identité ambigue//.\\ Ktema 4 (1979) 201–211)). Hermes ist auch als Bote der Götter immer unterwegs. Seine Botschaften fordern Einsicht und Verständnis; noch heute bezeichnet man die Wissenschaft vom »Deuten und Verstehen« als Hermeneutik. ((''Athanassakis, A.''\\ //From the phallic cairn to shepherd god and divine herald//.\\ Eranos 87 (1989) 33–49 [[http://www.dge.filol.csic.es/DGE-I/RBLG-D/Proco/Athanassakis%201989.pdf|Online]] )) * Der römische **Mercur**, benannt nach //merx//, dem Markt, ist ein Beschützer der reisenden Kaufleute und ebenfalls Götterbote und Seelenbegleiter, gleicht mit Flügelhut und Schlangenstab ((''Aloys Ludwig Hirt''\\ //Götter und Heroen der Griechen und Römer//\\ nach alten Denkmälern bildlich dargestellt auf XLVII Tafeln, nebst deren Erklärung.\\ August Rücker, 1826)) völlig dem Hermes, nur dass sein Totenfluss Acheron heißt, außerdem trägt er meist einen Geldbeutel (marsupium). Sein Beiname Chrysorrhapis ((Χρυσόῤῥαπις, der goldene Ruthenträger)) verweist auf den goldenen [[wiki:Stab|Stab]]; ein Widder und sein Ruf als Erfinder des wollenen Mantels verweisen auf seine Hirtenwurzeln. * Der etruskische Gott **Turms** ((𐌕𐌖𐌓𐌌𐌑, aus indogermanischem [[https://indogermanisch.org/pokorny-etymologisches-woerterbuch/index.htm|ter-4]] //`hinübergelangen, hindurchdringen; überqueren, überwinden, überholen, hinüberbringen, retten´//\\ A. L. Crawford\\ Etruscan Inscriptions Analysed. J. Murray, London 1872)) zeigt ebenfalls die Merkmale Petasos, Umhang, Stab, hat jedoch einen eigenen Ursprung und sein Name deutet auf weit ältere Wurzeln als Merkur ((''Masssimo Pallotino''\\ //Etruskologie: Geschichte und Kultur der Etrusker//\\ Springer 1988)). Er ist als //turms aitas// (Hades) seelenbegleiter wie Hermes Psychopompos mit dem χarun als [[wiki:faehrmann|Fährmann]] ((''Radke, Gerhard''\\ //Beobachtungen zur 'Religion' der Etrusker.//\\ Würzburger Jahrbücher für die Altertumswissenschaft. Neue Folge 14 (1988) 93-107 [[http://dx.doi.org/10.11588/wja.1988.0.26788.||DOI]] )). Sein Stab ähnelt dem Caduceus, erscheint jedoch auch in Form einer Gabel, die nach unten zeigend und in einer Jagdszene eher als Waffe erscheint sowie oft gemeinschaftlich mit Herkules, dessen Keule gleichfalls auf die Jagd verweist ((''D. Emmanuel-Rebuffat''\\ //Herclé Agonistique En Étrurie//\\ Latomus, vol. 44, no. 3, 1985, pp. 473–487. JSTOR, www.jstor.org/stable/41535077. Accessed 26 Sept. 2020, z.B. Fig.2 Haken, Fug. 4, Fig. 7 Gabel zum Boden\\ ''Simona Rafanelli''\\ //La religione etrusca in età ellenistica//\\ Rituale e iconografia fra tradizione e contaminazioni\\ In: Roma 2008 - International Congress of Classical Archaeology. Meetings between Cultures in the Ancient Mediterranean. In collaborazione con AIAC Associazione Internazionale di Archeologia Classica. Art, Italy: Cultures in Contact \\ Abb. 7 Jagdszene mit gegabeltem Stab\\, auf einem [[https://collections.mfa.org/objects/186691/scarab-with-turmshermes|Scarabäus]] und [[https://www.britishmuseum.org/collection/object/G_1872-0604-1238|hier]] mit Zacken und auf einem Bronzespiegel mit Dreizack, siehe ''Nancy Thomson de Grummond'', //Etruscan Myth, Sacred History, and Legend//, Philadelphia: University of Pennsylvania Museum 2006, S. 125 )). * Im nördlichen Europa verschmolz Merkur mit dem keltischen Reisegott **Cissonius** zu //Mercur Cissonius//, der ebenfalls mit Flügelhut und Heroldsstab dargestellt wurde; sein Name wurde als Tapferer oder auch (Ziegen-)Wagenfahrer gedeutet. Ebenfalls römisch-keltisch ist //Mercurius Arvernus//. * Dem litauischen Reisegott **Kielu Dziewos** ((auch: Kelių/Keliu/Kelio dievas, Kelukis, Kellukis, Keliukis; zu lit. keliù `heben, emporheben, tragen, übers Wasser befördern´ aus ig. [[https://indogermanisch.org/pokorny-etymologisches-woerterbuch/index.htm|kel-1]] )) wurde in Steinen am Wegesrand gehuldigt, ebenso wie es die Hermes- oder Merkursteine am Weg gab, insbesondere an Kreuzwegen ((''Walter C. Jaskiewicz''\\ //A Study in Lithuanian Mythology. Juan Łasicki's treatise on the Samogitian Gods//\\ Diss., Studi baltici 9 (1952): 65–106; hier: S.77)). Mit `gero kelio; laimingos kelionės´ also `Gute Reise´ werden Reisende verabschiedet. »Reisegott, dem man weiße Hähne opferte, Stab in der Hand, gegürtet, in Bastschuhen ... //Zella māte//, die lett. Wegegöttin« (( ''Brückner, A.''\\ //Osteuropäische Götternamen. Ein Beitrag Zur Vergleichenden Mythologie.// Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung auf dem Gebiete der Indogermanischen Sprachen 50.3–4 (1922) 161–197 [[https://www.jstor.org/stable/40847373|Online]] )) \\ //Surma// ist Psychopompos und Totengott mit der Gestalt eines Hundes.\\ //Simargl//, ostslawischer Gott, wird durch einen geflügelten Hund symbolisiert oder durch einen Riesenvogel. Als Riesenvogel wird auch der persische Simurgh dargestellt. * Im germanischen Götterhimmel entspricht ihnen **Hermodr**, der Mutige. Er reitet auf dem achtbeinigen //Sleipnir// in die Unterwelt und begegnet der Totengöttin //Hel//, gilt als Götterbote und Schutzherr der Boten. Eine vergleichbare Aufgabe haben die Walküren, die einerseits den Kriegern Waffen bringen und sie andererseits nach ihrem Tod begleiten. Die Unterstützung der Reisenden und der Wege erscheint im germanischen Pantheon allerdings wenig ausgeprägt zu sein. ==== Das Profil der Schutzgottheiten==== Diese Reisegötter zeichnen sich durch besondere Merkmale und Eigenschaften aus, sie sind: * [[wiki:grenze|Grenz]]bewacher (engl. liminal deities) an [[wiki:uebergang|Übergängen]]: Tür, Tore, Straßenkreuzungen, [[wiki:alpenpaesse|Pässen]] ((''Maier, F. G.''\\ //Torgötter//.\\ in: J. Kroymann (Hg.): Eranion, Festschr. H. Hommel (1961) 93-104. * Beschützer des Handels an den Stellen der Begegnung * [[wiki:bote|Boten]] der Götter mit dem Heroldsstab: * //Cissonius, Merkur, Hermes, Thot//; * Psychopompos, Seelengeleiter vom Diesseits ins Jenseits: * //Hermes, Anubis, Christophorus// * Helfer bei Übergängen: * einer der 14 Nothelfer: //[[wiki:christophorus|Christophorus]]// * einer der 12 olympischen Götter: //Hermes// * einer der 12 Adityas, vedischen Schutzgottheiten: //Pushan// * einer der shintoistischen [[ https://www.univie.ac.at/rel_jap/k/index.php?title=D%C5%8Dsojin&oldid=20730|Dōsojin]]: //Jizō// * [[wiki:genius_cucullatus|Genius Cucullatus]] * Sohn des Göttervaters: * //Anubis//: Sohn des Sonnengottes Re * //Hermes//: Sohn von Zeus und Maia * //Hermodr//: Odins Sohn ((Odins Speer hieß //gungnir// `Gehender´ und verwies damit auf die [[wiki:reisen|Reise]] ins Jenseits. Als großer Mann mit breitem Hut gab Odin dem König Eric einen //Reyrsproti// `Rohrstengel´, der sich beim Wurf über das feindliche Heer in einen Speer verwandelte.)) * Symbol der Lebenskraft * [[wiki:stab|Stab]] und [[wiki:steinmann|Steine]] (Lingam) als Phallussymbol; * Symbol der Heilkraft * Schlangen, die den Stab umwinden, //Äskulap// oder //Kundalini//; * Symbol der Sonne, mit dem [[wiki:raeder|Rad]] und dem von Ziegen gezogenen Götterwagen: * //Thor, Cissonius, Mercurius Gebrinius// (gallisch gabros: Widder), //Pushan//; * werden an [[wiki:steinmann|Steinhaufen]] oder über Steine verehrt: * der //acervus mercurii// ((''Joh. Cunradi Dieterici''\\ //Antiquitates Biblicæ, in quibus decreta, prophetiæ, sermones, consuetudines// ...\\ Sumptibus Jacobi Godofredi Seyler, 1671, S. 513 f.)) * der Steinhaufen des //Merkur// * die //Hermes//-Steine * die Phallus-Steine des //Jizō// * der Lingam im Hinduismus * die Steine des //Kielu Dziewos// Das Bild dieser »Reisegötter« weist zwischen Nordeuropa, Ostasien und dem südlichen Indien wiederkehrende [[wiki:liste_attribute_des_reisens|Merkmale]] auf ((''H. Collitz''\\ //Wodan, Hermes und Pushan//\\ Festskrift tillägnad Hugo Pipping pȧ hans sextioȧrsdag den 5 November 1924, S. 574–587)). Hermes wurde in Gallien auch Artaeus genannt `der Perser´ ((''Franz-Josef Mone''\\ //Geschichte des Heidenthums im nördlichen Europa//\\ Leipzig 1822, II, 413. - Hier zit. nach\\ ''Hermann Müller''\\ //Das nordische Griechenthum und die urgeschichtliche Bedeutung des nordwestlichen Europas//\\ Kirchheim, Schott und Thielmann, 1844, S. 364)). Sprachwissenschaftlich besteht ein direkter Zusammenhang zwischen Pushan (( ''Siecke, Ernst''\\ 1846-1935\\ //Pûshan: Studien zur Idee des Hirtengottes// Im Anschluß an die Studien über 'Hermes Den Mondgott'; Pûshan Im Rig-Veda.\\ Mythologische Bibliothek Leipzig Hinrichs 1914 )), Pan ((''Roscher, Wilhelm H.'' //Pan als Allgott//\\ Eine religionsgeschichtliche Untersuchung.\\ Mit 3 Textfiguren. Leipzig 1893: Engelmann. Sonderdruck aus: Festschrift für Joh. Overbeck Seite 56-72)) und Hermes ((''M. L. West, Morris West''\\ //Indo-European Poetry and Myth//\\ OUP Oxford, 2007 ISBN 9780199280759\\ Kap. 7 Nymphs and Gnomes)). Rekonstruiert wurde ein gemeinsamer proto-indo-europäischer Hirtengott *Péh₂usōn `Beschützer´ ((''Mallory, J. P.; Adams, D. Q.''\\ //The Oxford Introduction to Proto-Indo-European and the Proto-Indo-European World//\\ England: Oxford University Press 2006, S. 434. ISBN 978-0-19-929668-2)). ==== Literatur ==== * ''Adam Breysig''\\ //Wörterbuch der [[wiki:liste_reisebild-kategorien|Bildersprache]] oder\\ kurzgefaßte und belehrende Angaben symbolischer und allegorischer Bilder (etc.)//\\ mit 3119 lithographischen Monogrammen und einer Karte\\ Leipzig 1830: Friedrich Christian Wilhelm Vogel * ''Bremmer, Jan N.'', ''Andrew Erskine'' (Hg).\\ //The Gods of Ancient Greece: Identities and Transformations.//\\ Edinburgh 2010: Edinburgh University Press. * ''Hans Findeisen''\\ //Das [[wiki:tiere|Tier]] als Gott, Dämon und Ahne//\\ Kosmos Bändchen 209 Franck'sche Buchhandlung 1956 * Norbert Franken\\ //Merkur auf dem Widder. Anmerkungen zu fünf unerkannten Tintinnabula.//\\ Jahreshefte des Österreichischen Archäologischen Institutes in Wien 73 (2005) 129–136. [[https://doi.org/10.1553/oejh73s129|DOI]] . * ''Gabriele Groschner''\\ //Seelenbegleiter und Jenseitsreisende//.\\ in: Habersatter, Thomas ; Ducke, Astrid ; Groschner, Gabriele (Hrsgg.): Einmal Unterwelt und zurück : die Erfindung des Jenseits; Residenzgalerie Salzburg, 21.7. - 4.11.2012, Salzburg 2012, S. 168-191 * ''Heffter, Moritz W.''\\ //Die Religion der Griechen und Römer, der Alten Aegypter, Indier, Perser und Semiten.//\\ Leipzig: Otto Holtze, 1854.\\ Mit bemerkenswerten Überlegungen zu Hermes (S. 261-271) als gewandter, verschlagener Redner und als Meister des Wortes verwandt mit dem [[wiki:sendung|angelos]], manchmal auch einfach ein Verkünder wie der Keryx und ein Begleiter der Träume im Unterschied zur Iris. * ''Herbig, Gustav''\\ //Zur Vorgeschichte der römischen Pontifices.//\\ Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung auf dem Gebiete der indogermanischen Sprachen 47.3/4 (1916): 211–32. [[http://www.jstor.org/stable/40846671|Online]].\\ Pontifices und sankrit pathi-kŗt sind bedeutungsgleich (sie [[wiki:bahn|bahnen]] [[wiki:weg|Wege]] duch die [[wiki:wildnis|Wildnis]] und bauen Brücken) und dienen häufig als Attribut von [[wiki:reisegoetter|Reisegöttern]]. Lateinisches pont und sanskrit pathi bedeuten gleichermaßen [[wiki:pfad|Pfad]]. * ''Michel Mathieu-Colas''\\ //Dictionnaire des noms de divinités//\\ 2017 [[https://halshs.archives-ouvertes.fr/halshs-00794125v7|Online]] * ''Motz, Lotte''\\ //Gods and Demons of the [[wiki:wildnis|Wilderness]]//.\\ A study in Norse tradition.\\ In: Arkiv för Nordisk Filologi (ANF) 99 1984, S. 175–187 * ''Motz, Lotte''\\ //The goddess Nerthus - a new approach.//\\ Amsterdam, Atlanta: Arend Quak and Paula Vermeyden, 1992, (= Amsterdamer Beiträge zur alteren Germanistik Band 36) * ''M. Šašel Kos''\\ //Pre-roman divinities of the Eastern Alps and Adriatic//\\ (=Situal 38) 226 S. Ljubljana : Narodni muzej, 1999. * ''L. 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