Reitwagen

Radfahrzeuge in ihren je eigenen Bauarten dienten ursprünglich dem Transport von Lasten, später transportierten sie Menschen und zuletzt dienten sie dem Vergnügen. Einachsige Fuhrwerke heißen Karren (lat. carrus, gallisch benna), zweiachsige heißen Wagen (lat. currus). Der Begriff `Reitwagen´ wurde historisch für unterschiedliche Bauarten und Nutzungen verwendet, dabei ist `Reit´ mehrdeutig.

Die Bezeichnung Reitwagen kommt offensichtlich weder von reisen noch von reiten 10). Als Wurzel bietet sich die Reite an, »der freie hofplatz in einem landgute« (Adelung), der sich in Hofreite, also dem eingefriedeten Bereich um ein Landgut, erhalten hat und bedeutungsähnlich vorliegt in Reede als »ort wo schiffe zur fahrt ausgerüstet werden«, daher war reite »ursprünglich der platz … wo zubereitungen, arbeiten vorgenommen werden« 11). Reitwagen ist also ein Arbeitsgerät für die Hofreite, wobei `Wagen´ aus indogermanischem *u̯eg̑h- bewegen, ziehen, fahren, abgeleitet ist. Das althochdeutsche reitirosso ist daher ein Wagenpferd, kein Reitpferd. Auch gehört das Reitgesinde nicht zum Reiter sondern zum Reitwagen: »ih habo dih, fruintin min, geebenmazzot minemo reitgesinde an den reituuagenon«, reitweko bezeichnet den Fuhrmann.

Im Lateinischen ist raeda »ein größerer, vierräderiger Reisewagen, auf dem mehrere Personen mit Gepäck Platz hatten« 12), ebenso keltisches reda 13), letztlich aus indogermanischem *reidʰ- mit der Bedeutung `fahren, in Bewegung sein'. Damit verbindet sich auch die Bedeutung der althochdeutschen Form Reita 14).

1)
Urgeschichte des badischen Landes bis zum Ende des 7. Jahrhunderts 1844. Zeitschrift für Alterthumswissenschaft 3.106 (1845) Sp. 845
2)
Hamm, Marlies
Der deutsche „Lucidarius“.
Band 3, Kommentar. De Gruyter, 2016, S. 160,29 dort weitere Belege.
Frischbier, Hermann
 Preussisches Wörterbuch: Bd. L-Z. Nachträge und Berichtigungen. Berlin 1882: Th. Chr. Enslin
reit-wagen, stm.“, Mittelhochdeutsches Handwörterbuch von Matthias Lexer.
3)
Hirschfeld, Joseph
Schemoth hannirdaphim, oder, Synonymik : zur Beförderung der hebräischen Sprache, vornehmlich für hohe Schulen und für alle, die sich in dieser Sprache richtiger Ausdrücke bedienen wollen …
2. Verb. Ausg. VII, 224 S. Leipzig 1831: J.A. Barth. S. 149
4)
auch: Wagen und Reisige, Wagen und Reiter, Wagen und Gespanne; so auch die englische Standardübersetzung: »And there went up with him both chariots and horsemen.«; die lateinische Vulgata: »habuit quoque in comitatu currus et equites et facta est turba non modica«; die griechische Septuaginta: »καὶ συνανέβησαν μετ᾽ αὐτοῦ καὶ ἅρματα καὶ ἱππεῖς, καὶ ἐγένετο ἡ παρεμβολὴ μεγάλη σφόδρα.« Zitate aus: Bibelwissenschaft.de
5)
Erleutertes Preussen, oder, Auserlesene Anmerckungen … Band 2 Königsberg 1725: Martin Hallervord
6)
Johann Jakob Redinger
Spielschule oder Lebendiger Künsten-Kreis: Das ist Schawspielige Übung Der Sprachen- und Sachen-Thür.
S. 323 Hanau 1659: Jacob Lasché
7)
Rita Plos
Deutsche Entlehnungen im russischen etymologischen Wörterbuch von Max Vasmer.
Diplomarbeit bei Branko Tošović, Karl-Franzens-Universität Graz 2014 S. 245, Bezug auf Vasmer 2: 555.
8)
Hermann Frischbier
Preußisches Wörterbuch
Bad. 2 S. 222 Königsberg 1882/83
9)
S. 101 in: Adolf Spieß: Die Lehre der Turnkunst Bd. 3: Die Stemmübungen Basel 1843: Schweighauser Buchhandlung
10)
»die ursprüngliche bedeutung von reiten im germanischen ist die allgemeinere von expediri, proficisci, die einschränkung auf den begriff von equitare ist eine jüngere erscheinung und nicht durchweg eingetreten«
reiten, starkes verb.“, Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm.
11)
zu goth. garaids, nhd. be-reit, s. „reite“, Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm.
12)
Georges, Karl Ernst
Kleines Lateinisch-Deutsches Handwörterbuch.
9. Verb. und verm. Aufl Hannover 1909: Hahn.
13)
Alois Walde: Lateinisches etymologisches Wörterbuch. Stichwort rēda (raeda) < air. de-riad „bigae„, mir. riadaim ich fahre und mit Verweis auf Quintilian I, 5, 57;
Dottin, Georges: La langue gauloise. Paris 1920: C. Klincksieck.
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft Online