Die nordischen Völva oder Vala waren wandernde Seherinnen, die wegen ihrer außergewöhnlichen Stäbe als `Stabträgerin´ bezeichnet wurden und bereits in der Antike über Europa hinaus bekannt waren.
Veleda
wird von Tacitus
als eine germanische Seherin Völva 1) bezeichnet, weitere namentlich bekannte `Seherinnen´ sind Albruna, langobardisch Gambara, Gambaruc 2), Ganna, Hyndla, gotisch Waluburg; letztere findet sich auf einer Liste im alten Ägypten 3). Solche Völva erscheinen auch in norwegischen und griechischen Quellen 4), für die ein skythischer Ursprung angenommen werden kann. Völva waren geachtet, gefürchtet wurde das Praktizieren von Seiðr/Sejd durch `ränkekundige Frauen ´ (skollvis kona, sejdkona) oder Männer seiðmaðr, während Spákona das Hellsehen und Heiður die Heilkraft betont 5).
Kunstmann, Christina
Frog, M.
Das entspricht auch einer etymologischen Untersuchung, die dem Sinnbereich Zauber und Magie die ambivalenten Begriffsfelder heilen & vergiften, binden & bannen, sprechen, schreien & singen zuweist 6).
Diese Ambivalenz eignet auch den Walküren, sie konnten Schutzengel sein und dem Kampfbereiten Waffen bringen oder Todesengel, die ihn zur Walhalla begleiteten, also als Psychopompos Begleiter ins Jenseits wie die Reisegötter. Daraufhin deutet ein Hinweis auf gotische Priesterinnen, die von Jordanes Aliorumnas genannt werden, eine latinisierte Verzerrung von halju-runnos (Hel-løbere `Läufer ins Totenreich´). In der slawischen Mythologie erscheinen die Vila/Wila als unbekleidete, blonde Wassernymphen, als weibliche Naturgeister 7) die dem Menschen wohlgesonnen waren, jedoch auch unbeherrrscht und rachsüchtig sein konnten.
Die irdischen Völva und die mythischen Walküren sind gleichermaßen »Jungfrauen des Waldes«, virgines silvestres 8). Das ist nicht romantisch, da der Wald bis zum Ende des Mittelalters als weithin herrenlose Wildnis auch Niemandsland war, in der sich nur Outlaws und Waldläufer begegneten. Altnordisches völlr `Feld, Wiese, Boden´ bezeichnet den gerodeten Raum umgeben von Wald, befriedetes Land umgrenzt vom haag, dem Zuständigkeitsbereich der hagazussa, Zaunreiterin, Hexe 9).
Als Stabträger bezeichnet werden die Völva, aber auch die mythische die Walküre Göndul/Gandull und selbst Odin
erhält den Beinamen Göndlir
`Zauberstab, Phallus´ 10).
In der Edda und anderen Schriften findet sich wiederholt der Begriff `gandr´ für `Zauberkraft´ 11). Ob diese an den Stab gebunden ist, dieser also zum magischen Werkzeug wird, ist umstritten 12). Die heutige Fachwelt nennt ihn Seiðr-Stab oder staff of sorcery 13) und macht ihn damit zum Ritualstab.
Als Werkzeug war der vǫlr eine massive Stange und der gandr ein dünner Stab. Beide konnten zur tödlichen Waffe werden 14). Nur der wand erscheint weder als Werkzeug noch als Waffe, sondern ausschließlich als ein Zauberstab. Die magischen Rituale Seiðr der Völva umfassten Runenzauber, die Weissagung Spádom und mitternächtliches útiseta an Kreuzwegen im Wald, dabei bleibt die Rolle des Stabes im Dunklen. In der Ikonographie von `seer´ und `seeress´ spielen neben dem Zauberstab und dem Ast auch Trinkhorn und `Daumen eine Rolle 15). In Hyndlulióð 33 heißt es, dass alle vǫlur von Viðólfr `Waldwolf´ abstammen, eine Metapher, die die Wildnis als natürliche Umgebung der Seherin betont.
Die Weissagung einer vǫlva bildet das erste Lied Voluspá der älteren Edda. Die Edda 16)) berichtet, dass die Jötin Griðr
(Gridur, Greth, Graith > `Gier, Heftigkeit´) dem Thor
Þórr Waffen lieh, nämlich den Stab Gríðarvǫlr, den Stärkegürtel und die Eisenhandschuhe. Damit wurde die Völva zur Mittlerin zwischen Schmied und Kämpfer, zwischen Welt und Gott, übernahm also die Rolle des Trickster 17). Vilsinn vǫlu ist eine Umschreibung (kenning) für `Trollfrau´.
Die Völundarkviða erzählt die Geschichte des Schmiedes Völundr
(=Wieland, Wēlund, Velent, ᚹᛖᛚᚩᛞᚢ wela[n]du); der Name ist verwandt mit aisl. vella `zum Sieden oder Schmelzen bringen, zusammenschweißen < PIE u̯el-7 drehen, winden, wälzen; sein Handwerk lehrte ihm der mythische Mimir. Der älteste archäologische Hinweis auf diesen Schmied ist eine Münze, ein Solidus des 6. Jahrhunderts 18). Alfred der Große
(848–899), König der West-Sachsen, bezeichnet ihn als »vísi álfa« `weisen Alben´, also etymologisch *albaz `Handwerker, magischer Helfer´, goth. arb-aiþs) guter Abstammung. Das altnordische vǫlundar bedeutet auch `Erbauer´; völdug 19) meint `kraftvoll, mächtig´. Dem Schmied Völundr entsprechen der irische Goibhniu, walisischer Gofannon und der normannische lé bélengi 20). Dieser mythische Schmied hinkte, ebenso wie seine Pendants Vulcano und Hephaistos, römischer bzw. griechischer Schmied der Sagen.
Am 3. Mai 2002 legten Archäologen von Wessex Archaeology ein Doppelgrab frei, drei Meilen nah an Stonehenge. Ein Mann, 35 bis 45 Jahre alt, kräftig gebaut und mit verschobener Kniescheibe links, in Hockstellung begraben nach Norden blickend, wegen des beigelegten Bogens Amesbury Archer genannt. Dieses Grab ist mit rund 100 Grabbeigaben das reichste jemals in England gefundene bronzezeitliche Grab und das älteste, welches Goldobjekte (Haarschmuck) enthält. Eine Isotopenanalyse des Zahnschmelzes zeigt, dass der Mann nördlich der Alpen aufgewachsen ist, etwa im Raum der Schweiz oder der angrenzenden österreichischen und deutschen Regionen - auch das ist einmalig unter den britischen Grabfunden. Unter den Grabbeigaben waren fünf Glockenbecher, auch dies ein Import vom Kontinent. Der beigelegte Steinamboss - auch dies einmalig - diente zum Bearbeiten von Metallen. Drei beigelegte Kupfermesser wurden in Frankreich und Spanien hergestellt.
Dass der Mann ehrenvoll und reich begraben wurde, belegt die Wertschätzung und macht einen entsprechenden kulturellen Austausch wahrscheinlich. Das um 3.000 BC begonnene Stonehenge wurde um 2.300 BC mit den heute noch sichtbaren 20-Tonnen-Megalithen ausgebaut, zeitgleich finden sich erstmals Gold und Kupfer in Britannien. Das Gold der Grabbeigabe wurde auf 2.470 BC datiert - der älteste Goldfund in Britannien, die beiden Toten wurden übereinstimmend auf 2400-2200 BC datiert; Glockenbecher erscheinen in Europa ab 2.400 BC.
Es entsteht das Bild eines Schmiedes beim Übergang von der Stein- zur Bronzezeit: körperlich kräftig, reich und angesehen, überregional unterwegs und vermutlich willkommen wegen seines Know-Hows, denn körperlich war er ein Krüppel, unfähig zur Jagd und zur Arbeit - außer zum Schmieden. Die Lage im Grab mit Blick nach Norden (= Mitternacht, Dunkelheit) kann auf magische Fähigkeiten hinweisen; üblich ist sonst der Blick nach Osten. Dass die Glockenbecher meist in abseits gelegenen Männergräbern gefunden wurden, kann auf wandernde Einzelgänger hinweisen. Es könnte aufschlussreich sein, diese Merkmale systematisch zu vergleichen: Grablage, Blickrichtung, Art der Grabbeigaben, Knieverletzung. 21)
Für Norwegen ließ sich zeigen, dass alle größeren Siedlungen in der Nähe von Eisenvorkommen lagen und umgekehrt fehlen solche Siedlungen in Regionen ohne Eisenerzvorkommen. 22). Die Suche nach Raseneisenstein (engl. Bog iron , dän. Myremalm `Moorerz´) 23) und Kiefernholz war also bestimmend für Siedlungsgründungen und setzte Schmiedeerfahrung voraus. Einfaches Eisenerzschmelzen ist um 600 AC nachgewiesen in »hellegryte«, mit Stein ausgekleideten Gruben 24). Der Wanderschmied wählte also den geeigneten Ort in der Wildnis aus und stellte die Axt zur Rodung, die Sichel zur Getreideernte und die Sense für die Heuwiese her 25). »Itinerant craftsmen«, die Eisen verhütten, Holz schlagen, Holzkohle herstellen müssen schon aufgrund solcher Tätigkeiten außerhalb von Siedlungen leben, als »Wilder Mann« in der Wildnis 26).
Die Oberharzer Bergbaustadt Wildemann führt ihre Gründung auf einen Wilden Mann zurück, der mit einer Wilden Frau in der Nähe eines Silbervorkommens lebte, das er erschlossen hatte.
Eisen als wichtigster Rohstoff, Schmied als wichtigster Beruf und Seherin als spirituelle Instanz waren über den eisernen Stab miteinander verbunden; die Rolle des Schmiedes im Zusammenhang mit der »landname« wird dargestellt auf dem Stein Arde VIII aus dem 8. Jahrhundert 27). Dieselben Elemente - Mann, Frau, Eisenstab - finden sich in besonders aufwändigen Steingräbern 28), während sich die Ambivalenz `guter´ und `böser´ Zauberkraft in zwei unterschiedlichen Bestattungsformen spiegelt 29).
Eliade, Mircea
Maillefer, Jean-Marie
Lecouteux, Claude
et al.Robert Nedoma
Die sprachlichen Wurzeln führen zu vǫlr `Stab, Stange´, zum Adjektiv `rund´ und zu verschiedenen Tätigkeiten des kraftübertragenden Bewegens wie stoßen, rollen, spalten, drehen, winden, wälzen.
Davon abgeleitet ist die Bezeichnung vǫlsi 30) für den Pferdepenis, der in derselben Quelle, dem Vǫlsa þáttr 31), auch bezeichnet wird als beytill (4, 1, Stößel). Sowohl die runde Form als auch die stoßende Bewegung lassen sich von vǫlr auf vǫlsi übertragen. Eichel und Hodensack als Spezifika des Geschlechtsteiles verformen jedoch die Stange zur Hantel mit verdickten Enden. Im Völsa-þáttr wird der Völsi dem Gott (?) Mornir `Zerschmetterer, Zerkleinerer´ angeboten. Dieselbe Funktion haben das indische vajra, die Mörserkeule (pilum) als Blitzsymbol des Jupiter (`Der Zerschmetterer´) und für den Blitzgott Pistor (`Der Zerstampfer´) bei römischen Geburtsriten 32). Das synonym genutzte beytil bedeutet im Dänischen ein Locheisen, im Niederdeutschen ist der bötel ein Schlegel, im Hochdeutschen ist der Beitel ebenfalls ein Werkzeug zur Holzbearbeitung `Stechbeitel´, aber auch ein Beutel mit der Nebenbedeutung Hodensack.
Heusler, Andreas
Düwel, Klaus
Klaus Düwel
Das (!) Vǫlsi erscheint im übertragenen Sinne als `Bindeglied´ zwischen männlichem und weiblichem Prinzip, daher sächlich – es ist das Andere, das Dritte 33). Es verbindet die Seherin Vǫlva
34) mit dem Schmied Vǫlundr
. Dieser ist der Vater von Sigmundr und Signy. Im Beowulf (l. 897) heißt Sigmunds Vater Wæls
, daher wird von seinen Nachfahren als den Völsungen oder Wälsungen gesprochen (Völsungasaga).
Völsi ist auch Beiname Odins `Sohn der Pferdevulva´ und darüber vergleichbar mit dem russischen/slawischen Pferdegott Volos, dem walisischen Waelsi. Die Bezüge zwischen den Begriffen sind dunkel: vǫllr ‘Feld, Weide, Wiese…’, vǫlr `Stab´, griech phallos φαλλός, Wurzel ghla 35).
Vǫlu-Steinn
Þuríðr sundafyllir
‘Filler of Waterways’.Christopher Retsch
Sebastian Schaffner
Egeler, Matthias
Arnulf Krause
Stefan Schaffner
Cleasby, Richard, William A. Craigie, Gudbrand Vigfusson
Helga Kress
Essler, Michaela
Reiter, Norbert
Saxo
, Gesta Danorum III, ii, 4Alwin Kloekhorst
Matthias Egeler
Thomas Steer
Heide, Eldar
Leszek Gardeła
Johannes Hoops
Jan de Vries
Rudolf Simek
L. Gardeła
Wikström af Edholm, Klas
Friedrich Wilhelm Bergmann
Margaret Clunies Ross, B. K. Martin
Berghaus, P. & Schneider, K.
Fitzpatrick, A. P.
Ulrich Graser
B. Nessel
Harald Meller, Roberto Risch, Ernst Pernicka
(Hg.)Bowles, G., R. Bowker, N. Samsonoff
Ansteinsson, John
Dieterle, Richard L.
Callmer, Johan
Leif Einarson
Sigmund Oehrl
Ludwig Buisson
Leszek Gardeła
Nedoma, Robert
Oehrl, Sigmund
Reymann, A.
Hoops, Johannes
Thomas Köves-Zulauf
Düwel, Klaus
: Das Opferfest von Lade: quellenkritische Untersuchungen zur germanischen Religionsgeschichte. Wien 1985: K.M. Halosar., ursprünglich als Habilitationsschrift: Das Opferfest von Lade und die Geschichte vom Völsi.Finnur Jónsson