Inhaltsverzeichnis

Alpenpässe

Die Alpen trennen als rund 200 Kilometer breites Band auf rund 1.200 Kilometern Länge den Mittelmeerraum vom nördlichen Europa; diese Bergwelt riegelt Italien nach Norden ab. Für alle, die unterwegs sind, werden Meer und Gebirge jedoch zum Zwischenraum, nicht zur Grenze, Pässe gliedern den Raum und differenzieren die Raumvorstellungen.

In römischer Zeit war das Mediterraneum erschlossen - Wildnis gab es nur im Hinterland Afrikas und in den Alpen.

Die imperiale Erschließung der Alpen ermöglichten erst die Söhne des Augustus mit ihrem Alpenfeldzug 15 BC. Täler und Pässe bestimmten die Routen; befestigte Städte verbanden Täler und Alpenvorland; der cursus publicus bot Rasthäuser, Pferdewechselstationen, Träger und Führer - Alpenüberquerungen wurden planbar.

Mit dem Zerfall des römischen Reiches zerfiel auch die überregionale Infrastruktur der römischen Globalisierung 1). Im Mittelmeerraum wurde das Reisen schwieriger, weil dieser im 6. Jahrhundert endgültig in einen östlichen und westlichen Raum zerfiel und ab dem 7. Jahrhundert durch den Druck der islamischen Eroberung weiter verkleinert wurde, da christliche Seefahrer nicht einmal mehr eine Planke auf dem Meer treiben lassen konnten, wie Ibn Khaldun sagte 2). Vorbei war es auch mit den massenhaften Pilgerströmen, die über Byzanz zu den heiligen Stätten im Raum Libanon-Syrien strömten. Damit stieg die Bedeutung des Alpenraums als Zwischenraum für „Handel und Wandel“ 3). Wer den Zugang zum Tal beherrschte, kontrollierte auch die zugehörigen Pässe und damit Boten, Gesandte, Wandermönche, jedwede peregrinatio, fahrende Händler, Reisende auf ihren Wegen zwischen Norden und Süden: die Herzöge von Bayern und Schwaben, die Könige von Burgund und Italien. Imperial wurde das erst wieder mit den Ottonen und dem Bau von Hospizen („Weghospitäler“) auf den Alpenpässen ab 1050 nach Christus.

„… Völker, welche, räuberisch und arm, in frühern Zeiten Italien inne hatten; jetzt aber sind sie theils vernichtet, theils völlig bezähmt, so daß die durch sie führenden Uebergänge über das Gebirge, die früher selten und kaum passirbar waren, jegt an vielen Stellen vorhanden, und theils sicher vor den Menschen, theils, so weit es durch Herrichtung möglich ist, leicht gangbar sind. Der Kaiser Augustus nämlich fügte zu der Vernichtung jener Räuber auch, so weit es möglich war, die Herstellung von Straßen hinzu. Denn nicht überall war es möglich vermittelst Durchbrechung von Felsen und ungeheuern Bergwänden die Natur zu überwältigen, indem jene den Weg theils überragen, theils unterlaufen, so daß nur wenig Fehltretende unvermeidliche Gefahr laufen in bodenlose Abgründe hinabzustürzen. Denn der Weg ist dort zuweilen so schmal, daß er den Fußgängern und selbst den ungewohnten Saumthieren Schwindel verursacht; die einheimischen dagegen tragen ihre Last sicher. Weder dem nun ist abzuhelfen, noch den ungeheuern, sich von oben herabwälzenden Eismassen, welche eine ganze Reisegesellschaft wegzureißen und in die sich hinabsenkenden Schlünde hineinzuschleudern vermögen. Denn viele Eismassen liegen auf einander, indem eisartige Schneeschichten auf Schneeschichten sich häufen und die oberen sich immer leicht von den untern ablösen, ehe sie im Sonnenscheine völlig zerschmelzen.“ Strabon: Geographica Buch 4, Ausgabe 1856 S. 116

Die niedrigsten Pässe und die größten Verbindungen

Wer die Alpen überqueren musste, suchte nicht nach dem kürzesten, sondern nach dem einfachsten Weg. Die Pässe im Großraum Tirol bieten mit dem Brennerpass (1371 m) und dem Reschenpass (1510 m) die niedrigsten Übergänge zwischen Friaul im Osten und dem Wallis im Westen.

»Les Francais pour l’ordinaire vont en Italie par le Piemont, & par la Coste de Genes; les Alemans par le Trentin, & les Espagnols par la mer« schreibt Pierre Duval in Voyage et description de l’Italie und benennt damit die Hauptrouten.

Zeitleiste der Alpenüberquerungen

Der Gang in die Bergwelt erforderte zum einen ein starkes Motiv. Zum anderen hatte dieser Gang zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Bedeutungen, siehe Bergwelt. Technisch bildeten die Pässe den Scheitelpunkt einer Gebirgsüberquerung (auch: -passage, -transfer, -transit), die vor dem Straßenbau für den Fussreisenden, seine Zug- oder Lasttiere und sein Fuhrwerk kräftezehrend und gefährlich war: Erdrutsche, Steinschlag, Wetterumschwung: Nebel, Gewitter, Schneefall 4). Der touristischen Erschließung gingen jahrtausendelang andere Interessen voran: Almwirtschaft, die Suche nach Erzen (Blei, Kupfer, Silber, Gold), Monastisches Reisen, Militär, Nachrichtenverkehr (Boten, Kundschafter), Handel und Transport. Seit vorgeschichtlicher Zeit haben Menschen die Alpen überquert, aber nur selten darüber schriftlich berichtet:

Liste der Alpenpässe

In der Literatur stehen die Römer im Fokus der Betrachtungen, doch folgten auch sie bereits jahrtausendealten Spuren, Pfaden, Wegen. Die Täler waren bewohnt („Kelten“) und Ötzi ist genetisch als Ureuropäer nachgewiesen, die von den indoeuropäischen Menschen verdränggt wurden.

Pässe bilden die Nadelöhre der transalpinen Verbindungen. Wann dort gereist wurde, lässt sich nur an Indizien festmachen: Resten des Straßenkörpers (Belags, Trassenführung, Karrengeleise), Felsinschriften, Reste von Altären und Weihopfern für Reisegottheiten, Meilensteine, Weihesteine, Grabsteine, straßenbegleitende Bauten wie Stationen und Herbergen, Hinweise in Akten und Reiseberichten, Karten und Itinerare (Tabula Peutingeriana, Itinerarium Antonini, Itinerarium Burdigalense). Jeder Mosaikstein ist mühsam zu erstellen, doch das Gesamtbild bleibt lückenhaft.
Das Verdienst des Römischen Reiches war die systematische Erschließung und Sicherung der Verkehrswege (cursus publicus) mit Pferdewechselstationen (mutatio, mutationes) etwa alle 15 Kilometer und Herbergen (mansio, mansiones) etwa alle 40 Kilometer und befestigten Straßen (via strada). Es gab Soldaten für Wachdienste (milites stationarii, beneficiarii ), Bedienstete für Pferde (hippocomi) und Maultiere (muliones) als Führer und Träger mit Lasttieren, Kuriere, Pferde, Spanndienste (angaria), Tierärzte (equarii medici), Wagner (carpentarii).

Die höchsten Pässe in den europäischen Alpen

Col de la Bonette 2802 m
Col de l'Iseran 2770 m
Stilfser Joch 2758 m
Col d'Agnel 2746 m
Col du Galibier 2646 m
Passo di Gavia 2618 m
Timmelsjoch2509 m
Großglockner-Hochtor 2504 m
Umbrailpass 2501 m
Nufenenpass 2478 m
Großer St. Bernhard 2473 m
Septimerpass 2310 m
Julierpass 2284 m
Kleiner St. Bernhard 2188 m
Splügenpass 2113 m
St. Gotthard 2109 m
Mont Cenis 2083 m
San Bernardino 2065 m
Simplonpass 2005 m

siehe auch:
Liste der geografischen Superlative

Literatur

Transalpine Übersichtsliteratur

Alpenüberquerungen

Alpiner Verkehr, Straßen und Strukturen

In vorgeschichtlicher Zeit

In römischer Zeit

Im Mittelalter

Übergreifendes

Regionen und Länder

Noricum & Raetiam

Noricum, eine römische Provinz, vorher keltisches Königreich im Raum von Bayern mit angrenzenden Gebieten.
Raetia, eine römische Provinz im Raum von Schwaben, Schweiz und Teilen Nord-Tirols.

Schweiz

Tirol

Einzelne Pässe, Täler und Straßen

Die Glocknerroute

Wege über die Tauern

Julier-Route

Via Claudia Augusta

Brenner/Bozen

Monte Croce/Monte crucis / Plöckenpass

Alpentransit und Bernsteinstraßen

1)
Hitchner, Bruce R. Globalization Avant la Lettre: Globalization and the History of the Roman Empire. In: New Global Studies 2.2 (2008) DOI: 10.2202/1940-0004.1034
2)
zit. nach Fußnote 2 von Michael Sommer
Homo Mercator
Handelsvölker und interkulturelle Netzwerke zwischen Orient und Okzident
in: Rollinger, Robert. 2010. Interkulturalität in der Alten Welt: Vorderasien, Hellas, Ägypten und die vielfältigen Ebenen des Kontakts. Wiesbaden: Harrassowitz.
3)
Arno Borst
Alpine Mentalität und europäischer Horizont im Mittelalter.
in: Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees 92 (1974) 1-46 [Online.
Pirenne, Henri
Mahomet und Karl der Grosse: Untergang der Antike am Mittelmeer und Aufstieg des germanischen Mittelalters. 311 S. Frankfurt am Main 1963: Fischer
Hodges, Richard
Charlemagne minus Mohammed: rethinking the 9th-Century Europe from Italy
= Carlo Magno senza Maometto : ripensando l'Europa del IX secolo dall'Italia.
91 S. Roma Arbor Sapientiae 2020
4)
Strabon IV, 6, u.a.: 6,7,10,12; Ammianus Marcellinus XV, 10, 4-
5)
PLOS One, 2019; doi: 10.1371/journal.pone.0223752
6)
Strabon IV, 6, 12
7)
Werner Zanier: Der römische Alpenfeldzug unter Tiberius und Drusus im Jahre 15 v. Chr. Übersicht zu den historischen und archäologischen Quellen. S. 73-96 mit Karte der Vormarschlinien und Fundplätze, in: Rudolf Aßkamp und Tobias Esch (Hrsg.): Imperium. Varus und seine Zeit. Beiträge zum internationalen Kolloquium des LWL-Römermuseumsam 28. und 29. April 2008 in Münster 2010 Aschendorff.
8)
Elena Gritti (Verona), 488: dal Norico alla Campania accompagnando le spoglie di San Severino. Una peregrinatio devota verso una terra promessa? in: Erhart, Peter, Jakob Kuratli Hüeblin: Nach Rom gehen monastische Reisekultur von der Spätantike bis in die Neuzeit. Tagungsbericht 3. bis 6. September 2014 in St. Gallen und Einsiedeln. = Itinera monastica, 3. 350 S. Wien 2021: Böhlau.
9)
Paulus Diaconus (720–799) über den Historia Langobardorum, Liber II, 8: »Igitur cum rex Alboin cum omni suo exercitu vulgique promiscui multitudine ad extremos Italiae fines pervenisset, montem qui in eisdem locis prominet ascendit, indeque, prout conspicere potuit, partem Italiae contemplatus est. Qui mons propter hanc, ut fertur, causam ex eo tempore mons Regis appellatus est. Ferunt, in hoc monte bisontes feras enutriri.« online und → BAdW
10)
Arno Borst
Alpine Mentalität und europäischer Horizont im Mittelalter.
in: Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees 92 (1974) 1-46 S. 23 ff. [Online
11)
Donnet, André: Saint Bernard et les origines de l'Hospice du Mont-Joux: (Grand-St-Bernard). =Th. Lettres Genève, 1942 No. 98. 163 S. St-Maurice 1942: Impr. de l'Oeuvre St-Augustin
12)
Stubbs, William: Memorials of Saint Dunstan, Archbishop of Canterbury. London 1874: Longman S. 38
13)
Epistola ad Augienses (Brief an die Reichenauer), Repertorium Fontium 5, 36. Dazu: Manitius, Max: Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters Bd. 1 München Beck 2005 S. 532
14)
Lampert von Hersfeld: Annalen. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2000, =Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters 13; Text lateinisch-deutsch
15)
Gesta abbatum Trudonensium: Continuatio prima 12, 6. Christian Rohr (Bern), Naturwahrnehmung in monastischen Reiseberichten des Mittelalters. in: Erhart, Peter, Jakob Kuratli Hüeblin: Nach Rom gehen monastische Reisekultur von der Spätantike bis in die Neuzeit. Tagungsbericht 3. bis 6. September 2014 in St. Gallen und Einsiedeln. = Itinera monastica, 3. 350 S. Wien 2021: Böhlau
16)
Otto, Walther Lammers, Adolf Schmidt 2011. Chronik oder die Geschichte der zwei Staaten = Chronica sive historia de duabus civitatibus Ottonis Episcopi Frisingensis chronica sive historia de duabus civitatibus. 6. A. Darmstadt: WBG
17)
https://www.geschichtsquellen.de/werk/86; Annales Stadenses MGH SS 23, 470-447
18)
Eine Chronik der Benediktinerabtei Novalesa im westlichen Vorland des Rocciamelone notiert 1025 und 1050 nach Christus zwei gescheiterte Besteigungsversuche auf den Berg.
19)
Scots Magazine, 48 (November 1786) 528, zit. nach S. 6 in: Mains, Jean A.
British travellers in Switzerland, with special reference to some women travellers between 1750-1850 Diss. 544 S. 3 S. Bibliogr. University of Edinburgh 1966 Online