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wiki:saeulen_des_herakles

Säulen des Herakles

Dort, wo Afrika von Europa aus bei klarem Wetter mit bloßem Auge zu sehen ist, führt die Straße von Gibraltar vom Mittelmeer hinaus auf den Ozean. Die höchsten Punkte auf beiden Seiten - der Felsen von Gibraltar (früher: Berg Kalpe) und der Jebel Musa in Marokko (oder mons Abila in Ceuta) - wurden in der Antike die Säulen des Herakles genannt, zuvor hießen sie bei den Phöniziern die Säulen des Melkart, dem Hauptgott (Baal) der phönizischen Stadt Tyros, der auch in Karthago und Cadiz als Schutzgott der Seefahrer verehrt wurde.

Herakles und Melkart sind unterschiedliche Namen für dieselbe Vorstellung, beide werden oft als bärtige Männer mit Keule dargestellt, erscheinen als Heros/Held und Wilder Mann. Als Attribut erscheinen auch zwei Säulen oder Steine 1). Über die ihnen zugeschriebenen Taten und Fähigkeiten erscheinen sie als Ahnherr von Expansion und Kolonisation über das Meer: sie bezwingen die wilden Tiere, besiegen wilde Völker und weisen den Weg (Orientierung, Navigation) durch die Wildnis und über den Ozean.

Die Karten des Altertums zeigen eine geschlossene Welt rund um Mittelmeer (lat. mare nostrum, Mediterraneum) und Schwarzes Meer, die Oikumene, das »Bewohnte Land«, mit nur einer Ausfahrt zwischen Marokko und Spanien. Vorbei an den Säulen des Herakles verließen die Seefahrer den Erdkreis (orbis terrarum) und wählten den Weg in die grenzenlose Unendlichkeit des weltumfassenden Oceanos, fort von der Sicherheit des nahen Landes. Als Ende der Welt (finis terrae) erschienen damals:

  • Das Cabo de São Vicente bei Sagres, Portugal, der südwestlichste Punkt Europas.
    • Phönizische Seefahrer erkundeten als erste die westliche Küste Europas und sollen bis Norwegen gelangt sein. Das Wissen darüber sicherte ihnen das Handelsmonopol für den Zinnhandel mit dem Erz aus den Minen Britanniens und wurde daher geheimgehalten. Plinius der Ältere (um 23 – 79 n. Chr.) berichtet von einem Periplus des Himilco aus Karthago für diese Strecke.
  • Das Cap Bojadur, Westsahara.
    • Pharao Necho (610–595 BC) beauftragt Phönizier damit, Afrika zu umsegeln; nach Herodot (4,42) gelang dies auch um 613-610 v.Chr. dem phönizischen Seefahrer Hanno. Weil Hanno »der Seefahrer« [vor 480 - 440 BC] in seinem Periplus Online niederschrieb, sie hätten auf ihrer Fahrt die Sonne zur Rechten gesehen, hielt man ihn für einen Lügner, dabei ist es der Beweis, dass er tatsächlich Afrika umsegelte, mindestens aber bis zum Golf von Guinea kam. Dies wiederholte danach erst wieder der Portugiese Gil Eanes 1434 .
  • Da Angst und Hoffnung nah beieinander liegen, galten die von den Phöniziern vor der afrikanischen Küste entdeckten Kanarischen Inseln als Insulae Fortunata.
  • Noch weit dahinter soll Atlantis gelegen haben die `Insel des (welttragenden) Atlas´ (altgriechisch Ἀτλαντὶς νῆσος Atlantìs nḗsos), die namengebend wurde für den Atlantischen Ozean und durch eine Naturkatastrophe um 9600 v. Chr. über Nacht untergegangen sein soll. Nachweisbar ist Atlantis jedoch nur bei Platon (428/427 bis 348/347 v. Chr.) in zwei Dialogen, als Allegorie für seine philosophischen Aussagen über den idealen Staat.
    • Platon
      Timaios und Kritias
    • Oliver Kohns, Ourania Sideri
      Mythos Atlantis. Texte von Platon bis J. R. R. Tolkien.
      Stuttgart 2009: Reclam, ISBN 978-3-15-020178-7.
  • Eratosthenes (um 275 bis 194 BC) ermittelte den Umfang der (kugelförmigen) Erde mit etwa 1% Genauigkeit und bewies die Kugelgestalt der Erde durch Messungen und Berechnungen. Die von ihm erstellte Karte legte das Zentrum seiner Koordinaten auf Rhodos, den Breitenkreis auf die Säulen des Herakles, den Längenkreis auf Assuan (`Syene´) und Lysimacheia auf der Halbinsel Gallipoli (heute Türkei). Die Karte erstreckte sich von Thule (Island?) bis Taprobane (Sri Lanka) und von der iberischen Atlantikküste bis Indien.
  • Plus ultra. im 16. Jh.: plus oultre (franz.), noch weytter
    Lateinischer Wappenspruch Karls V. angebracht an den Säulen des Herakles, die seit je als Grenze der bewohnten Welt galten (non plus ultra) mit dem Ozean (`der die Erdscheibe umfließende Weltstrom´) dahinter. Damit verband sich der Anspruch auf ein Reich, in dem die Sonne niemals unterging. Er herrschte als römisch-deutscher Kaiser außerhalb Europas über Teile Amerikas und den pazifischen Raum östlich der Molukken.

Jochum, Georg
„Plus Ultra“ oder die Erfindung der Moderne: zur neuzeitlichen Entgrenzung der okzidentalen Welt.
Dissertation Technische Universität Chemnitz 2015. 602 S. Bielefeld 2017: transcript
Das plus ultra Kaiser Karls V. wird verstanden als „immer weiter“ und damit als Programm der Moderne: ohne Grenzen zu denken eröffnet Möglichkeitsräume und ohne Grenzen ins Abenteuer zu fahren erschließt eine neue Welt, zunächst Amerika, dann den Pazifik. Francis Bacon, Wegbereiter der modernen Wissenschaft, lässt auf dem Titelblatt seiner Enzyklopädie Instauratio magna, London 1620, das Schiff der Erkenntnis zwischen den Säulen des Herakles hinausfahren auf ein Meer ohne Horizont: multi pertransibus & augebitur scientia. Die so ausgelöste Transformation des Mittelalters zur Moderne scheint ihrerseits an Grenzen stoßen und eine zweite Transformation zu erfordern.

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