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Globalisierung

Der fahrende Händler war immer schon angewiesen auf Fortbewegung, Transportmittel, Kommunikation und vor allem Wissen. Auf dieser Grundlage erst ist Handel mit Waren möglich.
Wird dies regelhaft über Hindernisse hinweg betrieben, die durch Geographie, Sprache und Kultur bedingt sind, werden »Netzwerke« mit besonderen Funktionsträgern erforderlich: Begleiter, Boten, Dolmetscher, Fährmann, Führer, Kundige, Steuermann, Träger, Wächter, die dem Reisenden im Zwischenraum helfen. Diese Funktionsträger verbinden sich mit ihren je spezifischen Sachsystemen (z.B. Tragetechniken, Lasttiere, Fuhrwerken, Navigationsmitteln) zu Handlungs- und Organisationssystemen.

Der Weg nach Norden und der Weg nach Süden

Der Weg nach Osten und der Weg nach Westen

Schifffahrt und transozeanische Routen

Im Wesentlichen hat die Schifffahrt die Globalisierung ermöglicht im Rahmen der geographischen Gegebenheiten:

Die trennenden Faktoren der Meere ergeben sich aus Distanzen (Fläche), Strömungen, Winden und Klima (z.B. Eis).

Die Verbindung zwischen Rotterdam und Tokio auf verschiedenen Routen (Karte), die Distanzen gerundet:

Route Verkehrsmittel Distanz Verkehrsweg Name
Über Land Karawanen,
Eisenbahn, Lkw
13.100 km seit 114 BC Transsib,
Seidenstraße, Traceca
Luftlinie Flug 9.500 km seit 1957 SAS Polroute
Südlicher Seeweg Schiff 28.000 km seit 1498 Carreira do India
Iter Indicum
Panamakanal Schiff 23.300 km seit 1914
Suezkanal Schiff 21.000 km seit 1869
Nordwestpassage Schiff 15.900 km 21. Jh.
Nordostpassage Schiff 14.100 km 21. Jh. Nördlicher Seeweg

Merkmale der Globalisierung

»Die große Industrie hat schon dadurch, dass sie den Weltmarkt geschaffen hat, 
alle Völker der Erde, und namentlich die zivilisierten, 
in eine solche Verbindung miteinander gebracht, 
dass jedes einzelne Volk davon abhängig ist, was bei einem andern geschieht.«
Friedrich Engels: Grundsätze des Kommunismus 1847

Im europäischen Recht haben sich vier vertraglich verankerte Grundfreiheiten herauskristallisiert, die auch Basis für Gesetzgebung und Rechtsprechung sind, nämlich freier Verkehr von

Diese vier Faktoren ermöglichen »Globalisierung« im europäischen Rahmen, indem sie nicht nur physischen Transport, sondern auch Arbeit und Geld möglichst reibungsfrei über Grenzen fließen lassen. Interessanterweise fehlt die Freiheit der Information.
Der Ökonom Branko Milanović beschreibt, wie sich die Netzwerke in drei Phasen neu verflechten mussten:

  1. Erstens trennten sich Produktion und Konsum räumlich, indem Waren hergestellt wurden, die man am Produktionsort nicht benötigte, während es Händler gab, die wussten, wo es diesen Bedarf gab.
    Das setzt ein Transportnetz voraus. Besonders große Wirkungen geht von Transportnetzen für Massenwaren aus wie etwa Zucker, Baumwolle, Erdöl.
    1. Ulbe Bosma
      The World of Sugar. How the Sweet Stuff Transformed Our Politics, Health and Environment over 2.000 Years.
      Cambridge, MA., 2023: Harvard University Press. XI, 488 S. DOI
    2. Sven Beckert
      King Cotton. Eine Globalgeschichte des Kapitalismus.
      525 S. München 2014/2019: C.H. Beck Inhalt
  2. In der zweiten Phase verlagerte sich die Produktion in einem sozialen Gefälle hinab zu den Rändern mit geringeren Kosten, dabei wurden aus Entwicklungsländern »Schwellenländer«.
    Das setzt ein finanzielles Netzwerk voraus.
  3. Jetzt in der dritten Phase könnte sich die Arbeit vom Ort der Produktion trennen, also zur Heimarbeit irgendwo auf der Welt.
    Das setzt ein Datennetzwerk voraus.

„Strukturbildende Fernverflechtungen“ (Jürgen Osterhammel) lassen sich als Netz verstehen, in dem handelnde Menschen sich bewegen (Migration & Reisen), in dem Werte ausgetauscht werden (Wertsysteme & Kapital), Güter bewegt werden (Gepäck & Transport) und Wissen übertragen wird (Translatio studii & Translation). Da alle diese Vorgänge voneinander abhängen, muss sich ein Gleichgewicht der Kräfte einstellen, das aber auch ausmittelnd wirkt und damit ein einseitiges Wachstum verhindert bzw. Handlungsfreiheiten einschränkt. Globalisation in diesem Sinne muss aber nicht erdumspannend sein, sondern findet dort statt, wo sich Fremdes begegnet.

Die heutige Globalisierung ist nicht die erste. Es werden also geschichtlich immer wieder Kräfte wirksam, die die Globalisierung zurückdrängen. Als solche erscheinen in der heutigen Zeit:

Seit Generationen war zu beobachten, dass ein freier Welthandel sowohl liberale Institutionen fördert als auch technisch durch neue Innovationen führend ist. Nun scheint ein Wandel einzutreten. Künstliche Intelligenz weiterzuentwickeln liegt im besonderen Interesse autokratischer Staaten, weil KI sehr gut zur Überwachung und Kontrolle geeignet ist. Ein Forschungsvorsprung der KI auf diesem Feld lässt sich aber auch wirtschaftlich für Internet-Plattformen nutzen, die sich dann global durchsetzen. Zwei Studien haben dies belegt:

Literatur

1)
Philippsen, B., Feveile, C., Olsen, J. et al.
Single-year radiocarbon dating anchors Viking Age trade cycles in time.
Nature 601 (2022) 392–396. DOI
2)
Herodot IV 85, 87
3)
Spickermann, Wolfgang
Die kirchliche Organisation des spätantiken Pilgerwesens.
211-220 in: Für Seelenheil und Lebensglück. Das byzantinische Pilgerwesen und seine Wurzeln, Mainz 2018
4)
Tabula Peutingeriana, pars VIII
5)
Itinerarium Antonini § 139
6)
571, 6-10: »kal. Iun. A Calcidonia et reversi sumus Constantinopolim VII kal. Ian. Consule suprascripto A Constantinopoli transis Pontum, uenis Calcedoniam, ambulas prouinciam Bithiniam.«
7)
Salway, R. W. B.
There but not there: Constantinople in the Itinerarium Burdigalense.
S. 293-324 in: Lucy Grig, Gavin Kelly: Two Romes : Rome and Constantinople in Late Antiquity. Oxford 2012: Oxford University Press.
8)
Albert Herrmann
Die alten Seidenstraßen zwischen China und Syrien.
(=Quellen und Forschungen zur alten Geschichte und Geographie, 21), Berlin 1910: Weidmann
9)
Jürgen G. Nagel
Abenteuer Fernhandel. Die Ostindienkompanien
Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 2007
10)
Robert Thorne (1492-1532), englischer Kartograph, zitiert von: Richard Hakluyt: The Principal Navigations, Voyages, and Discoveries of the English Nation. 1589