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Konditionen des Reisens
»Viele Fächer werden an unseren Schulen gelehrt. Aber eines der wichtigsten fehlt: die Reisekunde.« John Steinbeck (1902-1968)
Die äußere Form der individuellen Reise
Eine individuelle Reise erscheint äußerlich als ziemlich simpel:
- Jemand kommt zurück: Rückkehr.
Touristen sind eher leicht zu erkennen, da sie eher selten alleine erscheinen und meist dort sind, wo auch die anderen hingeführt werden. Ihre Kleidung ist in der Regel der Auszeit angepasst und soll mehr oder weniger deutlich allen anderen signalisieren, dass man sich in der Freizeit befindet: Hawaiihemd, Badekleidung, Safari-Look, unnatürliche Bräune oder Sonnenbrand. Der Urlauber will, dass seine Umgebung sein Motive respektiert.
Reisende versuchen dagegen in der Regel nicht aufzufallen, weil dies in der Fremde oft zu lästigen und manchmal riskanten Begegnungen führt. Das ist nicht einfach, weil das Reisegepäck mitgeführt wird oder weil das Fahrzeug den Reisecharakter erkennen lässt.
Das Unterwegs-Sein wird zwar vom Reisenden selbst empfunden, ist aber von außen nicht wahrnehmbar, denn ein orientierungsloser Fremder muss kein Reisender sein und jemand, der beruflich unterwegs ist (Stewardeß, Pilot), reist auch nicht.
Nur in manchen Situationen deuten vereinzelt Attribute auf Reisende hin: er trägt erkennbar Reisegepäck mit sich (z.B. einen Rucksack), hat einen Reiseführer in der Hand, fährt ein Wohnmobil, spricht eine andere Sprache, usw.
Die Innenwelt beim Reisen
In der inneren Welt geht es weit weniger übersichtlich zu. Dort stürzen wie in einem Kaleidoskop übereinander: Angst, Furcht vor dem Unbekannten, sehnsüchtige Träumerei, Lust auf das Unvorstellbare, Neugier aufs Andere, Phantasie, Erfahrung der Welt – im besten Fall sind dies Schritte auf dem Weg zur Eroberung des Nutzlosen.
Die vergebliche Gestaltung der Reise
Der Reisende versucht sein Reisevorhaben zu gestalten, durch den Willen zur Tat, durch Wissen und Tapferkeit. Mit oder gegen ihn ist er dabei Glück, Wunder und Zufall unterworfen. Die so geformte Reise ist einmalig und nicht wiederholbar, ist das Ergebnis einer Lebensphase und wird selbst zu einer solchen mit Folgen für die darauffolgende Lebensphase. Diese Erfahrung machte auch John Steinbeck
(1902-1968) auf seiner Suche nach Amerika gemeinsam mit Charly, seinem Hund, im Reisemobil Rosinante: »Nach jahrelangem Ringen stellen wir fest, daß wir eine Reise nicht in der Hand haben. Sie hat uns in der Hand. … Nur wenn der waschechte Vagabund sich dessen bewußt ist, kann er getrost aufbrechen. Erst dann ist er gegen alle Kümmernisse gefeit.« 1)
Die Rekonstruktion der Reise
Mit der Rückkehr beginnt die Reise auf einer höheren Ebene; sie wird entindividualisiert und Teil der Gemeinschaft, in die jemand zurückgekehrt ist. Dabei wird vereinfacht und rechtfertigt, beschönigt und idealisiert – die Reise wird rekonstruiert und wird zum Abenteuer, zur Lustreise, zur Gentlemantour, zur Eroberung, zur Flucht, Pilgerreise oder Walz und vielen weiteren Formen. Die Diskussion dreht sich nun um Leerbegriffe wie Freiheit, Sicherheit, Ehre und Ruhm, Schicksal und Fügung, Glaube und Visionen, die die Leistung des Reisenden gesellschaftlich überhöhen, ob er das will oder nicht.
Dem Reisenden wird ein Stereotyp angehaftet, er wird zum Helden, Ritter oder Entdecker, zum Globetrotter, Touristen oder Traveller.
Peter Handke
: Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt
edition suhrkamp 307, Suhrkamp Verlag, Frankfurt 1969; 150 S.
Handkes Betrachtungen weisen die Muster eines »Reise- und Abenteuerbuches« (von Hellmuth Karasek
rezensiert in Die ZEIT) auf, ohne von Reisen zu handeln. Ins Sprachliche gewendet erlebt der Autor, indem er als Fremder seine gewohnte Umwelt reflektiert, das Staunen des Reisenden mit den sich daraus ergebenden Abenteuern des Alltags.
Fitzcarraldo von Werner Herzog
, BRD 1982 mit Klaus Kinski
und Claudia Cardinale
und der Musik von Popol Vuh, rezensiert in Die Zeit. Herzog dreht nicht nur einen Film über das Vorhaben eines Mannes, ein großes Schiff über einen Berg zu schleppen, sondern das Vorhaben wird wirklich ausgeführt. Anders als üblich wird also nicht die Wirklichkeit verfilmt, sondern durch den Film entsteht Wirklichkeit.
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